Samstag, 28. Januar 2012

Wie viele Bücher braucht der Mensch?

Weisheit kommt aus Büchern. Oder nicht? Zumindest können sie uns auf dem Weg begleiten und uns manchmal einen Schubs in die richtige Richtung geben. Und manchmal wollen sie uns auch einfach nur unterhalten. Aber muss man sie deshalb alle behalten?

Ich habe heute meine Bücherregale abgestaubt und mich mit einer Mischung aus Wehmut und Schaudern an die Zeiten erinnert, in denen ich ein leidenschaftlicher Büchersammler war. Heute würde man wahrscheinlich "book hoarder" sagen. In meiner Wohnung gab es überall Bücher, ähnlich wie bei dem Bücherarzt Mo in Cornelia Funkes Tintenherz: auf den Regalen (klar), auf dem Schreibtisch (auch noch normal), auf dem Nachttisch (auch akzeptabel), auf dem Esstisch (lästig), auf dem Boden (sehr lästig), im Badezimmer (ja, ich lese auch in der Badewanne), auf sämtlichen Stühlen (sehr besucherfeindlich) und wer weiß wo sonst noch. Und sie lagen nicht etwa überall herum, weil ich so chaotisch bin, sondern weil die Regale längst überfüllt waren. Dort standen sie zum Teil bereits in Zweierreihen hintereinander. Trotzdem wusste ich immer ganz genau, wo jedes einzelne Buch war. Ich träumte von einer großen Bibliothek mit Regalen bis an die Decke und ansonsten nur einem gemütlichen Lesesessel und einer guten Leselampe. Was für ein Paradies! Dabei war mir klar, dass ich wahrscheinlich nie all diese Bücher würde lesen können. Ich wollte mich nur an ihrem Besitz erfreuen. Sie waren meine Freunde. In ihnen konnte ich tagelang versinken und alles um mich herum vergessen.

Dann kam der Moment in meinem Leben, in dem die Idee des Minimalismus von mir Besitz ergriff. Und ich fing an, Dinge auszusortieren. Kleidung, Geschirr, Stehrumsel und Vollstaubsel, aber meine Bücher? NIEMALS! Andererseits - der viele freigewordene Platz in Kleiderschrank, Kommoden und Geschirrschrank gefiel mir sehr gut. Hmmmmm! Noch sehr zögernd begann ich, mir meine Bücherstapel genauer anzusehen. Ich nahm das eine oder andere Buch in die Hand und fragte mich, ob ich es wohl jemals lesen würde. Oft lautete die Antwort "Nein". Dann fragte ich mich, ob das Buch einen besonderen Erinnerungswert besitzt oder ob es ein besonders attraktives Exemplar seiner Art ist. Meistens wieder "Nein". Viele meiner Taschenbücher waren bereits vergilbt und brüchig und alles andere als schön. Wertvolle, in Leder gebundene Bücher besaß ich eh nicht. Also begann ich auszusortieren. Im ersten Durchgang wanderten die Bücher, von denen ich sicher war, dass ich sie nicht mehr lesen würde und die zudem abgegriffen waren, in eine Kiste. Dort blieben sie, bis ich sicher war, dass ich sie nicht vermissen würde, und dann brachte ich sie zu einem Tierheim, das regelmäßig einen Büchermarkt veranstaltet. Der Gedanke, dass sie noch einem guten Zweck dienen würden, machte es mir deutlich leichter, mich von ihnen zu trennen. Es folgten noch viele weitere Durchgänge, und jeder fiel mir leichter als der vorangegangene. Hunderte von Büchern habe ich zum Tierheim gebracht, einige auch bei Amazon verkauft, und jetzt bin ich nah an meinem Ideal, nämlich dass unsere Büchersammlungen uns so repräsentieren sollen wie wir heute sind und wie wir morgen sein wollen. Bei mir steht jetzt eine bunte Mischung aus geliebten Überbleibseln aus der Kindheit, Romanen, die ich immer wieder lese, und Sachbüchern zu Themen, die mich jetzt interessieren. Natürlich kommt immer mal wieder ein Buch hinzu, aber es wird sorgfältig ausgewählt, und meistens fliegt ein anderes dafür hinaus.

Es ist erstaunlich, wieviel Freiraum ich in meiner Wohnung gewonnen habe. Und wieviel schneller ich mit dem Abstauben fertig bin. Und jetzt habe ich wirklich fast jedes Buch, das ich besitze, gelesen. Jetzt sind alle wahre Freunde, die ich immer wieder mit Freude in die Hand nehme und lese. Ein Buch besitze ich doch erst wirklich, wenn sein Inhalt ein Teil von mír geworden ist. Aber wer weiß, ob es jetzt, wo es den Kindle gibt, nicht bald noch weniger werden. Noch habe ich keinen, und noch liebe ich es, ein richtiges Buch in der Hand zu halten. Aber ich würde nie mehr "Nie" sagen.

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