Freitag, 17. Februar 2012

Veränderung

Veränderung - allein das Wort verursacht bei mir Stress im System. Ich mag Veränderungen nicht, ja ich fürchte sie sogar. Dagegen liebe ich Traditionen und Rituale. Ich langweile mich auch nach zigfacher Wiederholung nicht. Ich wohne schon mein Leben lang im gleichen Haus, höre seit meinem 15. Lebensjahr die gleiche Musik, lese immer wieder die gleichen Bücher, reite immer wieder die gleichen Waldwege entlang usw. Ich liebe es, mehr in die Tiefe zu leben als in die Breite. Ich möchte auch meine Freunde und meine Familie auf ewig behalten, und kann Menschen ganz schlecht loslassen. Was ich hab, das weiß ich, aber ich weiß noch lange nicht, ob etwas Neues auch besser ist. Bis vor einigen Jahren konnte ich auch Dinge nicht aus meinem Leben entlassen, und wenn ich nicht entdeckt hätte, wie wohltuend es ist, zu entrümpeln, wäre ich inzwischen bestimmt ein Messie.


Aber ich habe mir vorgenommen zu lernen, Veränderung zuzulassen und vielleicht sogar irgendwann zu begrüßen. Das heißt nun nicht, dass ich wie ein Fähnchen im Wind von einem Kick zum nächsten wehen will. Oder dass ich einem Einkaufsrausch verfallen will, weil ich ständig neues Zeug brauche. Es heißt vielmehr, Weiterentwicklung zuzulassen. Dabei hilft mir Hermann Hesses wunderbares Gedicht


Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!



Abschied? Neue Bindungen? Nicht mit mir. Auf gar keinen Fall! Abschied ist ein bisschen wie Sterben, oder wie war das noch? Ich will nicht sterben, nicht mal ein bisschen. Aber "lähmende Gewöhnung" und "Erschlaffen" klingt ja auch nicht toll. Und irgendwie ist da auch was Wahres dran. Wann hab ich mich eigentlich zum letzten Mal richtig lebendig gefühlt? Wann war ich wirklich neugierig oder total begeistert? Hmmm. Muss 'ne Weile her sein. Was meint Hesse denn mit "Lebensruf"? Ich könnte mir vorstellen, dass es das Flüstern unserer inneren Stimme ist: "Hey, meinst du nicht, du bist lange genug Beamter gewesen? Du wolltest doch immer schon Rockmusiker sein. Wie lange willst du denn noch warten? Nun raff dich mal auf und kauf dir 'ne Gitarre. Du musst deinen Job ja nicht gleich ganz kündigen. Geh erst mal auf halbe Stelle." Wie? Halbe Stelle? Und wovon soll ich dann leben? Geht nicht. Aus der Traum. Aber Hesse spricht von Tapferkeit. Ja, es kostet Mut, Veränderungen zuzulassen, denn wir sind ja "traulich eingewohnt". Das ist so bequem und gemütlich. Aber er erwähnt auch einen Zauber der uns beschützt, einen Weltgeist, der uns lehrt, zu leben und zu wachsen. Am schönsten finde ich die letzte Strophe. Denn hier wird uns in Aussicht gestellt, dass mit dem Tod nichts endet. Das Leben nicht, aber auch nicht das Lernen und Weiterentwickeln. Wir können uns diesem Strom des Lebens ohne Angst anvertrauen, uns von ihm tragen lassen, und dadurch gesund werden.

Schön, oder? Ich jedenfalls will es versuchen. Morgen reite ich meine Runde mal anders herum.















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